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​Kamerun und die Leidenschaft des Kristian Fenzl

Cameroon and the passion belonging to Kristian Fenzl

Kristian Fenzl ist ein höchst rationaler Mensch. Die Rationalität wird in sehr guter Weise von der marxistisch-leninistischen Soziologie untersucht. Das im Jahre 1990 von Aresin et al. in Ostberlin herausgegebene und somit als Letztfassung anzusehende DDR-Lexikon der Humansexologie verzeichnet dennoch den Begriff der Leidenschaft. Demnach ist Leidenschaft eine heftige Gefühlswallung im Zusammenhang mit einer Sache, einer Situation oder einer Person, die durch die Qualität des Begehrens und Besitzen-Wollens gekennzeichnet ist. Wie bei keiner unserer vielen anderen Reisen trat diese Qualität bei Kristian Fenzl bei der Kamerunreise am stärksten auf. Und das kam so:

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Auf die Reise zu den Dogons in Mali 1983 mit einem auf Ethno-Psycho-Analyse gerichteten Interesse folgte im Juni 1984 die Reise nach Kamerun wegen eines Interesses an den kleinen Menschen, den Bagyeli-Pygmäen, bei welcher Kristian Fenzl zuerst hoch hinaufkam und dann tief hinunter. Wir hatten eben unser Hauptquartier in einem alten Hotel, einem ehemaligen Anlaufpunkt von Elfenbeinschmugg-lern, am Strand von Kribi bezogen und noch in derselbigen Nacht gab sich Kristian Fenzl völlig den Wellen hin, lieferte sich ihnen nahezu rauschhaft aus, um von diesen Wellen meterhoch über uns, die wir so auch zu kleinen Menschen geworden waren, hochgetragen zu werden.
In den nächsten Tagen sind wir dann tatsächlich nach abenteuerlicher Flussfahrt und langem Pfadmarsch zu den kleinen Menschen gekommen und Kristian Fenzl war es möglich, viele Bilder zu machen, darunter Bilder von erstaunlichen Launen der Natur: Homoscapes wie vom Mann mit den zwölf Fingern, vom Mann mit dem doppelreihigen Gebiss, dem Mann mit dem Elefantenfuß. Aber nicht nur diese Mutationen der Anthropomorphologie waren es, auf die Kristian Fenzl sein Interesse gerichtet hatte. Noch anderes wollte er abbilden. Kamerun war zufolge der Kongo-Konferenz von Berlin von 14.7.1884 bis 4.3.1916 deutsches Kolonialgebiet gewesen und es entstanden in dieser Zeit prächtige Kolonialbauten. In Kribi waren zwei davon bestens erhalten geblieben. Und diese prächtigen Schönheiten weckten natürlich in Kristian Fenzl die Leidenschaft, die Leidenschaft als Künstler. Und wieder wurden Bilder gemacht. Plötzlich - ja nahezu aus dem Nichts wie in einem afrikanischen Zauber, wie die Jengi-Geister der Pygmäen - waren wir von Soldaten umstellt, von Maschi-nenpistolen bedroht, in einen verdunkelten Wagen verfrachtet und abtransportiert. Wir wurden dem Provinzgouverneur vorgeführt und von dessen chinesischem Militärberater der terroristischen Söldnerei beschuldigt. Zwei Tage zuvor war auf die von Kristian Fenzl abgebil-dete Kolonialvilla, die jetzt Wohnsitz des Provinzgouverneurs, seiner Frau und seiner vielen Kinder war, ein fehlgeschlagener Sprengstoff-anschlag verübt worden.

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Die Zeiten waren politisch unruhig. Paul Bija folgte Ahmadou Ahidjo als Staatspräsident, innerhalb der Einheitspartei UNC Union Nationa-le Camerounaise war es zu Auseinandersetzungen gekommen, die zum Staatsstreichversuch vom 6. April 1984 führten. Dieser Putschversuch war blutig niedergeschlagen worden, in der Folge kam es zu 190 Hin-richtungen. Und nun zwei Monate später unser terroristisches Vor-haben gegen die Familie des Provinzgouverneurs, einem Gefolgsmann Paul Bijas, welches als ersten Schritt das Ausspionieren der Villa zum Ziel hatte. Der im Verhör von Kristian Fenzl abgegebenen Erklärung für seine abbildende Leidenschaft, er sei Künstler, ja sogar Professor an einer Kunsthochschule, nur an der Kunst interessiert, nur in der Kunst tätig, wurde kein chinesischer Glaube geschenkt. Unsere Klei-dung - die damals üblichen Militärhosen als Safarihosen verwendet - stand in unauflösbarem Widerspruch zum Wort des Kunstprofessors. Schon sahen wir uns verloren, eingekerkert an einem unbekannten Orte auf die Aburteilung wartend. Vor all diesem befürchteten Übel bewahrt hat uns die das Verhör abschließende Frage des bis dahin schweigsam zürnenden Provinzgouverneurs selbst, ob wir diploma-tischen Status hätten, eine Formalitätsfrage, die zu stellen ihm aus seiner offensichtlich in Frankreich angediehenen Ausbildung in Erinnerung geblieben war. Unter Vorlage eines Rot-Kreuz-Ausweises Carte d identité Croix-Rouge Autrichienne mit dem Vermerk Nous prions toutes les autorités civiles et militaires ... toute protection behauptete ich für uns die Rechtsgarantien des Völkerrechtes, des Roten Kreuzes und der Vereinten Nationen und behauptete ich die Richtigkeit und Wahrheit: Kristian Fenzl ist ein bedeutender Künstler!

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Und da Kristian Fenzl ein bedeutender Künstler ist, folgte der Provinz-gouverneur nun dem Diplomatischen Protokoll. Wir wurden höflich eingeladen, an einer extra für uns abgehaltenen Vorlesung über nach der Rechtsordnung Kameruns zulässigen und unzulässigen Anferti-gung von Abbildungen teilzunehmen. Und Kristian Fenzl wurde höflich eingeladen, alle seine Bilder - also auch die bei den kleinen Menschen angefertigten - abzugeben. Weg waren sie und weg waren wir auch nach der Lehrveranstaltung. Doch wie es so ist mit der begehrenden Leidenschaft: kaum zieht sie sich verschreckt zurück, richtet sie sich schon mit neuer Kraft wieder auf. Kristian Fenzl brauchte wieder Bilder.

Und das mit den neuen Bildern kam so: Im alten Herrn Paul fand Kristian Fenzl einen Lichtbildner, der noch die deutsche Kolonial-schule besucht hatte, der Erinnerungen an die deutsche Sprache hatte und der so nach schnell geführten Verhandlungen bereit war, seine Bilder gegen Filmmaterial einzutauschen. Diese Bildersammlung umfasste 50 Jahre Ortsgeschichte: Hochzeiten, Feste, Unglücksfälle, Hinrichtungen und für den Künstler von besonderem Interesse furchterregende Missbildungen und schönste Frauenportraits mit den unglaublichsten Frisuren. Eine Sammlung, die nicht einmal das Kolonialmuseum in Amsterdam aufzuweisen hat. Kristian Fenzl hatte nun einen Schatz von Bildern, von denen seine Linzer Freunde aber nie eines zu sehen bekam. Und das kam so: Rückflug von Kribi nach Douala. Der Propellerflieger startbereit auf der Piste, wir einstiegbereit. Plötzlich - ja nahezu aus dem Nichts wie in einem afrikanischen Zauber, wie die Jengi-Geister der Pygmäen - waren wir von Soldaten umstellt, von Maschinenpistolen bedroht: Der chinesische Militär-berater befahl die Durchsuchung unseres Gepäcks nach Waffen. Kein Waffenfund, aber ein Bilderfund! Kristian Fenzl wurde höflich eingeladen, alle seine Bilder abzugeben. Die Darstellungen von Hinrichtungen und von Missbildungen schaden dem Ansehen Afrikas in der Welt. Weg waren sie und weg waren wir dann mit dem Flieger ohne Bilder auch.

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Doch wie es so ist mit der begehrenden Leidenschaft: kaum zieht sie sich verschreckt zurück, richtet sie sich schon mit neuer Kraft wieder auf. Kristian Fenzl brauchte wieder Bilder. In Douala waren aber keine Bilder zu bekommen und so kaufte Kristian Fenzl dann Blechspiel-zeug. Dieses Spielzeug transportierte er in einem riesigen Koffer durch die Straßen Doualas. Plötzlich - ja nahezu aus dem Nichts wie in einem afrikanischen Zauber, wie die Jengi-Geister der Pygmäen - waren wir von Soldaten umstellt, von Maschinenpistolen bedroht. Der vermeintliche Waffenhändler Kristian Fenzl wurde befragt, was er in dem Koffer transportiere. Der von Kristian Fenzl abgegebenen Erklärung, er transportiere im riesigen Koffer Kinderspielzeug, wurde kein Glaube geschenkt: Militärhose und Kinderspielzeug! Der Koffer wurde abgenommen, durchsucht. Kein Waffenfund, aber ein Spiel-zeugfund! Bestimmt haben die Linzer Freunde bei Kristian Fenzl schon einmal afrikanisches Kinderspielzeug gesehen, denn das Kinder-spielzeug durfte er behalten. So wurde die Kamerunsche Leidenschaft des Kristian Fenzl dann doch noch gestillt.

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Kristian Fenzl ist ein bedeutender Künstler. Wie viele andere bedeutende Künstler auch hat  er im Laufe seines bisherigen Lebens vielfache Wandlungen durchgemacht. War es ihm vor 25 Jahren in Kamerun ein Ärgernis, dass seine Bilder weg waren, so ist es ihm heute eine Freude, wenn seine Bilder weg sind - allerdings durch Ankauf und nicht durch Enteignung.
Wegen seiner künstlerischen Leidenschaft sind wir dann später nochmals nach Afrika gereist und haben den Museumsdirektor in Livingstone (Sambia) besucht. Der war aber kein Künstler, sondern ein Ornithologe. Dass der frühere Künstler-Museumsdirektor, mit dem Kristian Fenzl einen Besuch zum Wissenstransfer vereinbart hatte, nicht mehr Museumsdirektor war, und Kristian Fenzl wegen seiner Leidenschaft dann trotzdem vom Ornithologen-Museumsdirektor ein bedeutendes Kunstwerk als Leihgabe erhielt, kam so: ... aber das ist eine andere Geschichte.

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Albert Holzbauer, 2009

Kristian Fenzl is an extremely rational person. And rationalism has been explored in excellent fashion by Marxist-Leninist sociology. Nonetheless, in what proved to be its final edition, the respected East German lexicon of Human Sexology published by Aresin et al. in East Berlin in 1990, also describes the term passion. This is defined as being a powerful wave of feelings in connection with a matter, situation, or person, which is characterised by the quality of the desire and the wish for possession. In Kristian Fenzls case, this emotion arose to a greater extent than on any other of our trips during our journey to Cameroon and came about in the following manner.


Following a visit to the Dogons in Mali during 1983, the main focus of which was on ethno-psychoanalysis, there followed the expedition to Cameroon in June 1984, which had the little people of the Bagyeli pygmy tribe as its centre of interest. During this trip, Kristian Fenzl was initially on a high that was unfortunately followed by an extreme low. We established our headquarters in an old hotel, which had originally been a meeting-place for ivory smugglers on the beach in Kribi, and in the same night Kristian plunged into the waves, delivering himself up to the elements in as state of virtual ecstasy, to be swept up by the swell, towering several metres above our heads, which reduced us to the status of little people. During the following days, after a hair-raising river journey and a lengthy march along jungle trails, we actually managed to reach the pygmies. Kristian Fenzl succeeded in taking numerous photos, which included images of astounding natural whims that included homoscapes of men with twelve fingers, double rows of teeth and elephantine feet. However, his interest was not only focused on these anthropomorphological mutations and he wished to take pictures of other subjects.  
Following the Congo Conference of Berlin, from July 14, 1884 to March 4, 1916, Cameroon was a German colony and during this period impressive colonial buildings were erected. Two of the best preserved of these were to be found in Kribi and naturally these magnificent edifices aroused a passion in Kristian Fenzl, namely the passion of the artist. Accordingly, once again photos were taken until quite suddenly, we were surrounded by soldiers, who appeared out of nothing like the Jengi spirits of the pygmies. Initially, we were threatened with sub-machine guns and then bundled into a darkened car and whisked away. We then brought before the provincial governor, whose Chinese military advisor accused us of being terrorist mercenaries. Unfortunately, only two days previously, a failed attempt had been made to blow up the colonial villa, which was the current home of the governor, along with his wife and numerous children. This was the villa that Kristian Fenzl had photographed.


The times were politically unstable. Paul Bija had followed Ahmadou Ahidjo as the state president and disputes had broken out within the single political party, the Union Nationale Camerounaise (UNC), which had led to an attempted coup détat on April 6, 1984. This was suppressed with much bloodshed and 190 executions followed in its wake. And now, just two months later came our terrorist plot against the family of the provincial governor, a follower of Paul Bijas, the first step in which had involved spying on the villa. Moreover, the Chinese military advisor simply did not believe the explanation provided by Kristian Fenzl during his interrogation for his love of photography, that he was an artist, a professor at an art college and purely interested and active in the arts. Our clothing, which consisted of the military fatigues generally worn on safari at that time, offered an insoluble contradiction to the word of the art college professor. We saw ourselves as lost, locked up at an unknown location and awaiting condemnation. The only thing that had saved us from our dreaded fate was the concluding question during the interrogation, which had been posed by the governor, who until then had been angrily silent. He asked if we possessed diplomatic status, a formal question, which had apparently remained in his memory from his clearly extensive training in France. 
Following our production of a Red Cross identity card (Carte d identité Croix-Rouge Autrichienne) bearing the note, Nous prions toutes les autorités civiles et militaires ... toute protection, I alleged that this provided us with legal guarantees under international law, the Red Cross and the United Nations and also verified the correctness of the statement that Kristian Fenzl was an important artist!

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Therefore, as Kristian Fenzl was an important artist, the provincial governor now followed diplomatic protocol. We were politely invited to participate in a lecture specially arranged for us concerning Cameroons laws in relation to permissible and non-permissible photography. Kristian Fenzl was also similarly requested to hand over the all his pictures, including those he had taken of the pygmies. They were quickly gone, as we were after this pedagogic event.  However, as is always the case with passion born of desire, the shock had barely subsided before the urge returned with renewed strength. Once again Kristian Fenzl needed photos. 

The fact that new images were actually obtained came about as follows. Kristian Fenzl discovered an elderly photographer by the name of Monsieur Paul, who had attended the German colonial school, had recollections of the German language and following rapid negotiations, was willing to exchange his pictures for photographic material. His photos captured 50 years of local history, covering weddings, celebrations, accidents, executions and for the artist of special interest, fearful deformities and beautiful portraits of women with unbelievable hairstyles. This was a collection that surpassed even that of the Colonial Museum in Amsterdam and Kristian Fenzl now had a treasure trove of images, not one of which would be seen by his friends in Linz. 

This was due to the fact that as were about to board our propeller aircraft, which was ready for take-off on the runway, for the return flight from Kribi to Douala, once again we were surrounded by the pygmy Jengi spirits in the form of soldiers and threatened with sub-machine guns. The Chinese military advisor ordered that our luggage be searched for weapons. Naturally, none were found, but instead a collection of photographs, which Kristian Fenzl was politely invited to hand over in its entirety. The pictures of executions and deformities would damage Africas image in the world and therefore they were quickly gone. We left at equal speed, with the plane, but without the photos!

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However, as is always the case with the passion born of desire, no sooner does it recede out of fear, it reappears with even greater fire. Kristian Fenzl again needed photographic shots, but none were available in Douala. Therefore, he purchased tin toys, which he transported through the city streets in a huge suitcase.  Suddenly, the pygmy Jengi spirits in the form of soldiers reappeared yet again and the ritual threats with sub-machine guns were repeated.  The suspected arms dealer Kristian Fenzl was asked what he was carrying in the case and his explanation that his huge valise contained childrens toys was not believed. Combat fatigues and toys! The suitcase was seized and examined. No weapons, but a cache of toys! Now, it is certainly the case that Kristian Fenzls friends in Linz have seen at least one African toy, as he was allowed to keep them and thus his Cameroonian passion was satiated after all. 



Kristian Fenzl is an important artist and like many other artists of note, he has gone through a multitude of transformations in the course of his life to date.
If 25 years ago in Cameroon, the fact that his pictures were gone was a source of despair, today seeing a picture go is a delight, though as a item sold rather than a confiscation. Due to his artistic passion, we again travelled to Africa and visited the director of the museum in Livingstone (Zambia). He was not an artist, but an ornithologist. However, as the former director of the museum had been an artist and had agreed a visit for a know-how transfer with Kristian Fenzl, due to his passion the latter nonetheless received a significant artwork from the ornithological museum director as a loan ... but then that is another story. 

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